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Ausgabe 2011-1 Link

Die Spontanität war früher größer

Herzlich und royal war die Begrüßung zwischen ihrer amtierenden Majestät Carmen Kuhnert und unserem ehemaligen Schützenkönig von 1980/81, Herbert Napp. Anlässlich seines 30-jährigen ,,Thronjubiläums“ traf sich die Redaktion von Lust & Leute mit ihm zu einem Interview.  Mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch zum 30. Jubiläum“ begann Carmen Kuhnert das Interview mit dem amtierenden Bürgermeiser.

 

Hebrert Napp

Das Interview für Lust & Leute vör die Dag 2011, erschienen im Juli 2011, führten Carmen Kuhnert als amtierende Schützenkönigin und Klaus Patzelt.

 

L&L: Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, Schützenkönig der Stadt Neuss werden zu wollen?

Herbert Napp: Kurzentschlossen. Eigentlich wollte ich schon ein Jahr früher aus einer Stimmung heraus auf den Vogel schießen. Ich fand es immer schon toll König zu sein. Allerdings gab es die Friktion mit den seinerzeit anstehenden Kommunalwahlen, die mich angesichts der  Unvereinbarkeit von Schützenfest und Parteipolitik, den traditionellen Burgfrieden wahrend, dazu bewogen, ein Jahr später auf den Königsvogel zu schießen.

Damals als Anwalt war die Vereinbarkeit von Beruf und Königsamt noch gegeben und die zeitliche Beanspruchung verglichen mit heute dramatisch gering und überschaubar. Heute gibt es erheblich mehr Verpflichtungen für den Schützenkönig, die es vielen berufstätigen potenziellen Königen unmöglich machen, sich an die Vogelstange zu stellen. Eigentlich sehr schade, wo wir doch den Bewerbermangel beklagen…

Carmen Kuhnert: …und dazu kommt auch eine viel größere und noch vielfältigere Medienpräsenz verglichen mit damals. Berichtete damals lediglich die regionale Presse, so zeigt sich heute in zunehmendem Maße die überregionale Presse interessiert. Neben den Liveberichterstattungen des Lokalradios News 89`4, hielt mittlerweile auch das Fernsehen mit Live-Berichterstattungen Einzug wie z.B. die Sender Center-TV, WDR und ARD.

L&L: In dem Moment als mein Mann den „Vogel abschoss“ bekam ich weiche Knie – jetzt wird’s ernst dachte ich. Was haben Sie damals im Augenblick des Königsschusses empfunden?

Herbert Napp: Weiche Knie hatte ich nicht. Ich war überrascht, dass es mir gelungen war, mich im Schießwettbewerb gegen einen professionellen Jäger durchzusetzen und den Vogel runterzuholen. Vorher hatte ich mit einem Jäger ein wenig geübt. Ich habe z.B. an einem jagdlichen Schießen teilgenommen, um ein Gefühl für das Gewehr zu erlangen. Ich war einfach glücklich, als der Vogel erledigt am Boden lag und ich der neue Schützenkönig der Stadt Neuss und mit gerade mal 33 Jahren der Jüngste seiner Zeit geworden war.

 

L&L: Welche Empfehlung würden Sie aus Ihrer Erfahrung als Ex-Majestät dem aktuellen Schützenkönig Werner Kuhnert mit auf den Weg geben?

Herbert Napp: Vor den Kutschfahrten sollte er unbedingt Getränke wegen der Entsorgungsproblematik dosieren. Eintauchen in die Freude, die er den Menschen bereitet. Ich will dies an einem Beispiel festmachen: Beim Befahren des Marktes kurz vor dem Löwen sagte mir unser damaliger Oberbürgermeister Herbert Karrenberg in der Kutsche: ,Du musst aufstehen und jubeln, dann jubeln die Menschen zurück.` Gesagt getan, ich hab mich hingestellt und die Arme erhoben  – prompt brandete der Beifall auf der Tribüne auf …

Auf die Leute zugehen und sie mitnehmen, gewissermaßen das Bad in der Menge` genießen, soweit es das Protokoll zulässt…

 

L&L: Hat Ihnen das  für Ihr heutiges Amt geholfen?

Herbert Napp: Ja!

 

L&L: Was ist heute anders als früher?

Herbert Napp: Nach dem Königsschuss und während des Jubel-Umzugs wurde auf den Straßen getanzt - anders als heute - viel intensiver und ausgelassener.  Beispielsweise begab ich mich in meiner Schützenuniform als neuer König zum Podest zur Abnahme der Abendparade auf dem Markt. Ein Polizist, der mich offenkundig nicht erkannt hatte, hielt mich mit den Worten auf: Guck dat de weg kommst, gleich kommt der König!´ Nach dem Dienstagabendvorbeimarsch hat mich ein Motorradpolizist auf dem Sozius am Dom vorbei ohne Helm aber mit Schützenhut zur Bürgergesellschaft gefahren… heute unvorstellbar.

Im Vergleich zu früher ist diese Spontanität nicht mehr so möglich. Diese wird durch eine Summe von Vorschriften und zu viele Spaßbremser förmlich erwürgt. Trotz aller gebotener Ernsthaftigkeit sollte auch noch getreu dem Motto verfahren werden können: ,No risk no fun´ , wie beispielsweise auch bei meinem spontanen „Ausritt“ mit den Free-Eagles letztes Jahr.

Als Bürgermeister und Präsidiums-Mitglied des Deutschen Städtetages werde ich häufig mit der Frage konfrontiert, was das Besondere an Neuss ist. Wenn es das Schützenfest nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Das Neusser Schützenfest ist der größte Sozialisationsfaktor der Stadt, weil es alle Menschen in der Stadt zusammenführt und für die Stadt begeistert.

Abschließend noch ein Kuriosum am Rande des Schützenfestes: Alljährlich am Freitag vor Schützenfest räumen starke Männer traditionell mein Büro im Rathaus leer. Ich habe dann nur noch Zugang zu meinem Büro mittels einer Einlasskarte des Neusser-Bürger-Schützen-Vereins. Die Erstürmung des Rathauses durch die Karnevalisten ist virtuell. Dagegen ist die Erstürmung des Rathauses durch die Neusser Schützen real. Das Erstaunliche:  am Mittwoch liegt alles wieder exakt an seinem Platz. Die fotografieren das bestimmt vorher…

L&L: Herzlichen Dank für dieses Interview.